Empfehlungen Gender Diversity CHRO und VR-NCC

Voraussetzungen zur Gewinnung und Bindung bestqualifizierter weiblicher Talente fürs Topmanagement


Verfasst von Dr. Fabienne E. Meier, Partnerin, Knight Gianella, im März 2021


Gender Diversity ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für Unternehmen. Um bestqualifizierte weibliche Talente zu gewinnen und zu binden, sollten Unternehmen deren Bedürfnisse besser verstehen. Die Mehrheit der Frauen wollen sich in ein Unternehmen einbringen, wo sie einen sinnstiftenden Beitrag leisten können. Sie fordern eine wertebasierte Führung, eine konfliktfreie Zusammenarbeit (Strukturen) und eine vorurteilsfreie Kommunikation.


70% der Frauen haben Kinder und müssen zusätzlich zur Karriere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stemmen. CHRO und VR-NCC-Mitglieder sollten das Tabuthema der Familienplanung proaktiv ansprechen und den Talenten Lösungen anbieten, die mit dem in der Schweiz als wirtschaftsunfreundlich angesehenen Schulsystem und den teuren flankierenden Massnahmen machbar sind. Dazu gehören hochqualifizierte Teilzeitstellen in hohen Pensen mit Visibilität und wenig Administration, familienkompatible Sitzungszeiten, individuelles Sparring und Mentoring.


Grundlage für die Empfehlungen

Die Analyse von Knight Gianella und die daraus abgeleiteten Empfehlungen basieren auf 100 Einzelgesprächen mit weiblichen VR, CEO und CHRO aus börsenkotierten und grossen, nicht börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz, im Zeitraum von September bis November 2020, zuzüglich einer umfassenden Literatur-Recherche.


Zugang zu den Talenten

CHRO (zunehmend auch CPO / Chief People Officer genannt) und VR-NCC-Mitglieder sind besonders gefordert. Sie müssen die bestqualifizierten weiblichen Talente gewinnen und fürs Topmanagement entwickeln. Die bestqualifizierten Frauen sind für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wichtig, weil sie eine unterschiedliche Perspektive einbringen. Dadurch werden bessere Entscheidungen getroffen, es entsteht mehr Innovation und das Unternehmen ist längerfristig erfolgreicher. Zudem fordert der Schweizer Gesetzgeber per Januar 2021 eine Geschlechterquote. Diese verlangt, dass die etwa 300 bedeutenden börsenkotierten Gesellschaften die Frauenquote einführen. In Verwaltungsräten sollen beide Geschlechter zu mindestens 30% vertreten sein, in Geschäftsleitungen zu mindestens 20%. Die Übergangsfrist für die Verwaltungsräte beträgt fünf Jahre und für die Geschäftsleitung zehn Jahre.


Einige Unternehmen haben allerdings die Schwierigkeit, diese Frauen zu binden. Aus strukturellen und gesellschaftlichen Gründen sind bestqualifizierte weibliche Talente in der Schweiz eine knappe Ressource. Es wird CHRO und VR-NCC-Mitgliedern empfohlen, ausserhalb der eigenen Netzwerke (über den eigenen Tellerrand hinaus) mit ausgewählten Partnern im Executive Search zusammenzuarbeiten. Durch ihre einschlägige Expertise und Glaubwürdigkeit im Thema Gender Diversity können diese Partner nachweislich den bestmöglichen, von Vertrauen geprägten Zugang zu diesen raren bestqualifizierten Talenten sicherstellen. Zusätzlich wird den Unternehmen empfohlen, eine eigene Talent-Pipeline aufzubauen und ihre High Potentials längerfristig an sich zu binden.


Erste Voraussetzung: Bedürfnisse der Frauen

Damit die Bindung der weiblichen Talente gelingt, sollten sich CHRO und VR-NCC-Mitglieder mit den Bedürfnissen dieser Zielgruppe stärker auseinandersetzen. Die Mehrheit der Frauen bemängeln reine männergeprägte Gremien, konfliktreiche (aber auch unnötige) Meetings und unbewusste Vorurteile. Sie wünschen sich eine sinnstiftende Aufgabe und Vorbilder im Topmanagement, die vorurteilsfrei und werte­basiert führen. Sie bevorzugen Unternehmen, in denen teamorientiert zusammengearbeitet wird und wenige (strukturelle) Konflikte ausgetragen werden.


Eine besondere Gruppe ist diejenige der Frauen mit Kindern. Sie müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stemmen. Sie sind heute sehr gut ausgebildet und hätten grundsätzlich die Voraussetzungen, Karriere machen zu können. Da das heutige Schulsystem aber als nicht sehr berufsfreundlich angesehen wird und die flankierenden Massnahmen in der Schweiz sehr teuer sind, weichen sie auf Teilzeitstellen aus und verlieren längerfristig an Attraktivität für Positionen im Topmanagement. Zudem bilden sie sich in dieser Zeit nicht immer genügend weiter und vernachlässigen ihr berufliches Netzwerk.


Die bestqualifizierten Frauen mit Kindern wählen in der Regel Firmenkulturen, die eine möglichst familiengeeignete Sitzungskultur haben und weniger konfliktreich sind. Zudem investieren sie in die teuren flankierenden Massnahmen (Kinderbetreuung, Haushalt und externe Dienstleistungen) bis zu privaten Schulen. Wenn die Frauen mit Kindern überlastet sind, greift der sogenannte Mental Load und sie sind nicht mehr bereit zu leisten. Geld sowie andere Anreize spielen eine untergeordnete Rolle bei der Motivation. Anders formuliert, die Unternehmen verlieren diese weiblichen Talente.


Zweite Voraussetzung: Gender-Diversity-Karriere

Gemäss Bundesamt für Statistik wünschen sich 60% der kinderlosen Frauen zwischen 20 und 29 Jahren zwei Kinder. 30% aller Akademikerinnen bleiben kinderlos. Das heisst 70% der bestqualifizierten Frauen werden Mütter. Nach der Kinderpause bleiben rund 22'000 Akademikerinnen mit Kindern zu Hause, aber sie würden gerne arbeiten. Dieser Tatsache sollten Unternehmen ins Auge sehen.


Trotz des Fachkräftemangels haben bestqualifizierte Frauen mit Kindern Mühe, eine geeignete Stelle zu finden, weil sie nicht die richtigen Weiterbildungen absolviert haben, zu wenig Führungserfahrung ausweisen können und das berufliche Netzwerk vernachlässigt haben. Nur Frauen mit einer Vereinbarung mit dem Partner zu Hause (Partnervereinbarung), einer klaren Karriereplanung und gut funktionierenden flankierenden Massnahmen (Kinderbetreuung, Haushalt und externe Dienstleistungen) schaffen den Weg bis ins Topmanagement.


Die offene Diskussion über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein unabdingbarer Paradigma-Wechsel, den es zu vollziehen gibt. Eine Studie zur Gleichstellung der UZH besagt, dass Frauen optimal arbeiten können, wenn die vier Dimensionen der Vereinbarkeit (gesellschaftliche, individuelle, partnerschaftliche und berufliche Rahmenbedingungen) im gleichen Verhältnis stehen und somit ausgeglichen sind. Es geht nicht darum, eine Dimension zu perfektionieren, sondern es geht um die Ausgeglichenheit aller Dimensionen, um Karriere machen zu können.


Gender-Diversity-Karrierremodell

Die Bindung von weiblichen Talenten ist sehr kritisch in den Jahren, in denen die Frauen ihre Kinder bekommen. Es wird CHRO und VR-NCC-Mitgliedern empfohlen, bei weiblichen Talenten bereits vor der Geburt des ersten Kindes das Tabuthema der Familienplanung proaktiv anzusprechen. Dadurch kann eine auf die individuellen Bedürfnisse der Familiensituation angepasste Lösung gefunden werden.



Die Phasen der weiblichen Karriereplanung sind sehr unterschiedlich (vgl. Abbildung) und lassen sich wie folgt abgrenzen:


High Potentials in Pipeline: In dieser Phase werden die bestqualifizierten Talente identifiziert und für die Aufgabe gewonnen. Diese Frauen steigen wie ihre männlichen Kollegen ins Berufsleben ein und werden aufgrund ihrer Kompetenz auf die nächste Karrierestufe befördert. Frauen ohne Kinder haben in der heutigen Zeit somit die gleichen Chancen wie die Männer, wenn sie Karriere machen wollen und dafür gegen unbewusste Vorurteile einstehen. Dies war vor zwanzig Jahren noch viel schwieriger.


High Potentials in Work-Life-Balance: Sobald die Frauen Familie planen oder haben, ändert sich für sie die Situation. Sie gelangen in die Work-Life-Balance-Phase. Für sie ist zentral, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu stemmen. Je schlechter die Vereinbarung mit dem Partner zu Hause, die Karriereplanung und die gewählten flankierenden Massnahmen (Kinderbetreuung, Haushalt und externe Dienstleistungen) sind, desto schwieriger wird es, später wieder auf hohem Niveau einzusteigen. Pro Kinderjahr kann in der Regel mit einem Karriereknick von mindestens 8 Jahren (zuzüglich Abstand zu weiteren Kindern) eingerechnet werden. Zudem kommen die Frauen dann gerade in ein Alter, in dem die ausgewiesenen beruflichen Erfahrungen ausschlaggebend sind, um überhaupt ins Topmanagement zu gelangen. Die Ausnahmen sind vorhanden, aber selten anzutreffen.

Die CHRO und VR-NCC-Mitglieder sollten in dieser Phase die Frauen mit einem individuellen Mentoring begleiten. Sie sollten sie vorbereiten, damit sie später wieder voll einsatzfähig sind und das Potenzial entfalten können. Es braucht eine attraktive und faire Lösung, damit der Mental Load nicht greift, sich Frauen richtig weiterbilden und ihre Netzwerke pflegen. Die Frauen müssen an einer Karriere interessiert bleiben, damit sie später ins Topmanagement befördert werden können. Die Lösungen müssen mit dem noch als wirtschaftsunfreundlich angesehenen Schulsystem und den teuren flankierenden Massnahmen in der Schweiz finanzierbar sein.


High Potentials Ready For Next Step: Wenn die Work-Life-Balance-Phase zu Ende geht, sind Frauen mit Kindern in der Regel eher wieder bereit, Karriere mit vollem Einsatz zu machen. Dies unter der Voraussetzung, dass ihnen die vielen unbewussten Vorurteile nicht einen Dämpfer gegeben haben und sie dadurch keine Lust mehr haben, für ihre eigenen Anliegen einzustehen. In der Regel kommen sie etwas später als ihre männlichen Kollegen in eine Topmanagement-Funktion, aber sie wollen diese Aufgabe machen und sind nicht ausgebrannt. Anders sieht es in Verwaltungsräten aus, die als flexible und hochqualifizierte Teilzeit-Modelle mit wenig administrativen Aufgaben gesehen werden und für Frauen mit Kindern relativ gesehen noch attraktiver sind.


Studien gehen davon aus, dass auch die Männer der neuen Generation Z künftig ihre Frauen stärker unterstützen werden. Deshalb wird das Gender-Diversity-Karriere-modell in ein paar Jahren wohl für beide Elternteile gelten.


Teilzeitstellen mit Visibilität

Bestqualifizierte weibliche Talente werden immer noch zu oft vor die Wahl gestellt, mindestens 80% (meistens sogar 100%) zu arbeiten. Mit einem reduzierten Pensum sind in der Schweiz meistens nur tiefqualifizierte, eher administrative Aufgaben möglich. Zudem fürchten sich Arbeitgeber vor Absenzen wegen kranker Kinder. Bei einem Ausfall kostet die Stellvertretung rasch eine sechsstellige Summe. Teilzeitstellen bedeuten für die Arbeitgeber einen klar höheren Aufwand.


Unternehmen sollten umdenken. Sie sollten Teilzeitstellen auf hohem Niveau (möglichst in hohen Pensen) schaffen, mit denen sich die Frauen richtig positionieren und weiterbilden können. Diese Frauen sollten Visibilität bekommen und mit dem obersten Führungsgremium zusammenarbeiten können. Zudem sollten unnötige Abstimmungsmeetings und administrativen Aufgaben auf ein Minimum reduziert bzw. sogar komplett eliminiert werden. Dadurch profitieren beide Seiten. Wenn Unternehmen ihre weiblichen Talente unterstützen, bekommen sie bestqualifizierte und zudem auch längerfristig loyalere Mitarbeitende. Frauen, die durch ihre Unternehmen in dieser Phase begleitet wurden, haben eine stärkere Identifikation zum Unternehmen und wollen längerfristig in diesem Unternehmen tätig bleiben.


Individuelles Sparring und Mentoring

Aufgrund des Karriereknicks haben Frauen oft Lücken in ihren Lebensläufen. Mit einem individuellen und phasenspezifischen Sparring und Mentoring sollten sie von Unternehmen und externen Partnern begleitet werden, damit sie konkrete Situationen reflektieren und auf die Anforderungen im Topmanagement adaptieren können.


Beim individuellen Sparring sollten die Persönlichkeitsprofile der weiblichen Talente mitberücksichtigt werden. Besonders ruhigere, forschungsnahe und technische Frauen, die fürs oberste Führungsgremium so wichtig sind, aber sich oft gar keine Topmanagement-Funktion zutrauen, müssen professionell begleitet werden. Sie sollten sich die fehlenden, aber unabdingbaren betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und Führungskompetenzen aneignen und sich ein selbstbewusstes Auftreten aneignen. Die Frauen und die Unternehmen sind dadurch die Gewinner. Es ist wichtig, unterschiedliche Persönlichkeiten zusammenzubringen, damit bessere Entscheidungen getroffen werden, mehr Innovation entsteht und somit das Unter­nehmen längerfristig wettbewerbsfähiger und erfolgreicher ist.


Nutzen

Unternehmen, die Frauen im Topmanagement haben und diese als wertebasierte Vorbilder richtig positionieren, sind attraktiver für andere Frauen. Diese Unternehmen werden den Kampf nach weiblichen Talenten gewinnen. Wenn börsenkotierte Unternehmen eine Pipeline an bestqualifizierten weiblichen Talenten aufbauen, können sie die vom Schweizer Gesetzgeber geforderte Frauenquote (30% in Verwaltungsräten und 20% in Geschäftsleitungen) erreichen.


Zudem können Unternehmen, welche die Bedürfnisse der Frauen und zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherstellen, ihre weiblichen Talente binden. Bestqualifizierte weibliche Talente, die in der Familienphase unterstützt werden, haben eine stärkere Bindung zum Unternehmen. Dies wirkt sich auf die Partizipation und das Engagement aus.


Frauen bringen eine andere Perspektive in die Diskussion. Sie legen mehr Wert auf nachhaltige Themen und haben ein höheres Kostenbewusstsein. Der Austausch fördert die Innovation und verbessert die Entscheidungsfindung. Gendergemischte Teams erreichen eine bessere Performance als der Branchendurchschnitt. Unternehmen mit mindestens einer Frau im Verwaltungsrat sind im Durchschnitt 20% erfolgreicher als solche ohne Frauen.